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    • Bild von dem Interviewpartner Dr. Stephan Franz, Teamleiter Entwicklung Konstruktionstechnologien

    CAD im Wandel

    Im Gespräch mit Dr. Stephan Franz, Teamleiter Entwicklung Konstruktionstechnologien

    Im zweiten Interview unserer Reihe zur Tebis 4.1 vertieft Dr. Stephan Franz alle Themen rund um CAD und Parametrik. Sie erfahren:

    • Worin sich die parametrisch-assoziative Konstruktion von der direkten Modellierung unterscheidet
    • Warum sich eine "robuste" Solidtechnologie und die bewährte Flächentechnologie von Tebis perfekt ergänzen und warum beide in dieser Kombination optimal auf die speziellen Anforderungen fertigungsorientierter Unternehmen zugeschnitten sind
    • Wie sich mit CAD-Schablonen sehr viel Zeit sparen lässt
    • Warum die parametrische Konstruktion wesentlich einfacher ist als viele denken 
    • Wie sich die parametrische Konstruktion schnell in bestehende Arbeitsabläufe integrieren lässt
    • Welche Vorteile die parametrische Konstruktion für die Datenaufbereitung hat
    • Welche Entwicklungen geplant sind
    CAD-Grafik eines Bauteils,  Bild  mit schwarzen Hintergrund
    CAD-Grafik eines Bauteils & Arbeitsplans, Bild  mit schwarzen Hintergrund
    CAD-Grafik eines Bauteils, seitliche Navigation der Tebis Software, Bild  mit schwarzen Hintergrund

    Parametrik und Assoziativität

    Einfach erklärt

    Herr Dr. Franz, wenn es um die neue Tebis CAD-Systembasis geht, sind Sie Ansprechpartner Nummer eins. Diese Systembasis, der parametrisch-assoziative Solidkernel, ist eine wesentliche Neuerung der Version 4.1, wenn nicht sogar die wesentliche Neuerung. Was genau ist der Unterschied zwischen der direkten Modellierung eines Elements auf der einen und der parametrisch-assoziativen Konstruktion auf der anderen Seite?

    Wenn Sie ein Element direkt modellieren, dann verschieben oder rotieren sie es oder verändern seine Größe beispielsweise mithilfe von Ziehpfeilen. Der Nachteil: In der Regel können Sie nur die letzten Arbeitsschritte rückgängig machen. Ältere Zwischenstände sind unwiederbringlich verloren. Anders bei der parametrischen Konstruktion: Hier „merkt“ sich das Element das „Wie“ seiner Entstehung. Jeder Zustand des Elements bleibt gespeichert. Es ist über seine Parameter – wie Länge, Radius oder Richtung – vollständig steuerbar. Diese Parameter lassen sich jederzeit modifizieren. Und sie sind voneinander abhängig: Ändern Sie einen Parameter, so passt sich das gesamte Element an.

    Die parametrische Geometrie verfügt also über eine gewisse Intelligenz …

    Genau. Deswegen sprechen wir hier auch eher von Objekten als von Elementen: Aus einem starren Element wird ein variables Objekt, das auch im Nachhinein veränderbar ist.

    Was bedeutet in diesem Zusammenhang „assoziativ“?

    „Assoziativität“ ist sozusagen die übergeordnete Ebene. Sie beschreibt das Verhältnis mehrerer Objekte zueinander, die miteinander in Beziehung stehen. Auch hier gilt: Verändern Sie ein Objekt, dann werden alle Objekte, die mit diesem Objekt verknüpft sind, automatisch aktualisiert.

    Und wenn ich nur einzelne Elemente tauschen oder anpassen möchte, ohne dass sich das gesamte Modell aktualisiert?

    Das geht natürlich auch. Dazu müssen Sie das Objekt isolieren. Isolierte Objekte verlieren ihre parametrischen Eigenschaften.

    Solidtechnologie versus Flächentechnologie – ein Widerspruch?

    Praxisgerechte Lösung für Fertigungsunternehmen

    Kommen wir auf Ihren eigenen Solid-Kernel zu sprechen. Ihr Kollege Peter Obermaier hat uns ja bereits gesagt, dass Ihr Solid-Kernel – zum Beispiel was das Thema „Robustheit“ betrifft – speziell auf die Anforderungen fertigungsorientierter Unternehmen zugeschnitten ist. Können Sie das etwas genauer erklären?

    Im Gegensatz zu vielen anderen volumenbasierten Systemen unterscheidet Tebis nicht zwischen Flächen und offenen sowie geschlossenen Solids. Das ist das, was Peter mit „Robustheit“ meint. Sie bekommen bei der Berechnung des NC-Programms immer ein Ergebnis – selbst bei vorhandenen Lücken. Boolesche Operationen – bei denen Elemente hinzugefügt, vereint oder voneinander abgezogen werden – lassen sich für alle Elementarten beliebig kombinieren. Dadurch wird die parametrische Konstruktion leichter händelbar.

    Jetzt ist Tebis bekannt für seine starke Flächentechnologie. Ersetzt die Solidtechnologie die Flächentechnologie?

    Keineswegs. Es macht absolut Sinn, zwischen Solids und Flächen und ihrem jeweiligen Einsatzzweck zu unterscheiden.

    Das heißt?

    Werkzeuge und Formen bestehen zum größten Teil aus dreidimensionalen Regelgeometrien – demnach aus prismatischen Körpern wie Quadern, Kegeln und Zylindern.

    Also aus Solids.

    Genau. Da Regelgeometrien durch ihre Dimensionen beschrieben werden, lassen sie sich sehr gut parametrisch aufbauen. Dazu kommen die Freiformflächen, also das Äußere, das „Drumherum“. Beim Umformwerkzeug zum Beispiel ist das die Wirkfläche, die bei der Fertigung mit dem Blech in Berührung kommt. Beides – Solids und Freiformflächenmüssen zusammengebracht werden. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir Solid- und Flächentechnologie optimal miteinander verheiraten. Es gibt kein Entweder-Oder. Die praxisgerechte Lösung für Fertigungsunternehmen steht immer im Vordergrund! Auch das Verheiraten selber ist parametrisch.

    Mit CAD-Schablonen standardisiert konstruieren

    Änderungsfreundlich und fertigungsgerecht

    Herr Franz, Sie sagen, dass die parametrische Konstruktion sehr änderungsfreundlich ist …

    Ja. Sie sparen sich in der Konstruktion einiges an Aufwand. Da alle Objekte voneinander abhängig sind, aktualisieren Sie Ihr CAD-Modell quasi mit einem Mausklick.

    Schon. Aber jemand, der auf dem Gebiet der direkten Modellierung sehr erfahren ist, könnte sagen: Ein Aufmaß verändern, die Kante verrunden, Flächen verlängern und verschneiden, Flächenverbände erweitern – das habe ich doch in Nullkommanichts erledigt. Und ich sehe gleich, was passiert. Warum sollte er sich umstellen?

    Es wird sehr oft unterschätzt, welche Zeitfresser diese vielen vermeintlich kleinen Tätigkeiten sind. Einer der größten Vorteile der Parametrik ist, dass sich CAD-Tätigkeiten sehr gut mit Schablonen strukturieren und standardisieren lassen. Das spart noch einmal zusätzlich Zeit, vor allem, wenn Sie mit verschiedenen Varianten eines Bauteils arbeiten. Ich nenne Ihnen ein einfaches Beispiel. Messuhrenhalter sehen immer ähnlich aus: Sie haben einen Taster, Befestigungsbuchsen sowie Abzugskörper für Aufnahme und Grundplatte. Aber wie sie ausgerichtet werden, ist von Bauteil zu Bauteil unterschiedlich. Hierfür erstellen Sie eine parametrische Schablone. Der NC-Programmierer importiert diese Objekte in den Datensatz, der die Prüflehre enthält, kopiert den Uhrenhalter in der gewünschten Anzahl, ändert gegebenenfalls die Höhe der einzelnen Aufnahmen sowie den Winkel der Messuhr. Er richtet die Aufnahmen aus und positioniert sie passend zum Bauteil. Das alles erledigt er mit wenigen Mausklicks. Das Beispiel kommt übrigens direkt aus der Praxis, von einem Betatester aus unserem Kundenkreis. Er sagt, dass er für diesen Arbeitsgang heute nur noch eine anstatt zuvor vier Minuten benötigt. Das bedeutet eine Zeitersparnis von 75 Prozent. 

    Parametrische Konstruktion leicht integrierbar

    Einfacher als gedacht

    Und trotzdem: Wenn man die Konstruktion nicht stringent aufbaut, die Konstruktionshistorie nicht beachtet oder ein Element an eine falsche Stelle kopiert, kann schnell Chaos entstehen.

    Das ist ja ein weiterer großer Vorteil der Schablonentechnologie. Sie haben es vorhin selbst gesagt, als Sie vom „erfahrenen Anwender“ gesprochen haben. Mit Schablonen sparen Sie nicht nur Zeit und machen Ihre Konstruktion weniger fehleranfällig, sondern erleichtern auch dem Anwender die täglichen Arbeitsabläufe. In Zeiten von Fachkräftemangel und hoher Fluktuation ist dieses Wissen nicht immer vorhanden. Ich kann gar nicht oft genug betonen: Sie brauchen kein Spezialist auf diesem Gebiet zu sein. Schablonen bauen Sie einmal auf und alle Anwender greifen unternehmensweit auf diese Vorlagen zu. Wir kennen das aus der CAM-Welt. Wir haben keinen Kunden, der heute mit NC-Schablonen arbeitet und jemals wieder „in die Zeit davor“ zurückkehren möchte. In unserer modernen Arbeitswelt, die immer komplexer wird, sind standardisierte Arbeitsweisen wichtiger denn je. Und nicht zur vergessen: Unsere Kollegen aus der Implementierung stehen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite und helfen beim Aufbau der Schablonen. Und wer nicht möchte, muss auch nicht parametrisch konstruieren. Jeder kann mit isolierten Objekten arbeiten und die Tebis Konstruktionsfunktionen so nutzen wie bisher.

    Aber Sie empfehlen die Parametrik.

    Auf jeden Fall sollte sich jedes Unternehmen, bei dem sich konstruktive Arbeitsschritte wiederholen und das regelmäßig ähnliche Bauteile oder Bauteilanteile konstruiert, mit den Möglichkeiten der Parametrik auseinandersetzen. Auch das Zusammenspiel von CAD-Konstruktion, CAM-Programmierung und Fertigung wird damit einfacher.

    Daten schneller aufbereiten

    Viele Vorteile für CAD und CAM

    Haben Sie dafür ein Beispiel?

    Zum Beispiel erfolgen die erste Schrupp- und Schlichtbearbeitung und die entsprechende Kollisionsprüfung an einem Bauteilzustand, der noch keine Bohrungen, Einsätze, Aussparungen oder Freimachungen aufweist. Da alle Konstruktionsschritte gespeichert werden, geht der NC-Programmierer lediglich in der Konstruktionshistorie zurück und übergibt den gewünschten Zwischenstand ohne zusätzlichen Aufwand an die Fertigung. So bleibt er vollkommen flexibel. Ein weiterer Vorteil ist in diesem Zusammenhang, dass er sich konstruktive Arbeitsschritte spart, die einiges an Zeit kosten. Löcher zum Beispiel müssen für die Schruppbearbeitung gar nicht mehr geschlossen werden – es gibt ja immer einen früheren Zwischenstand des Bauteils, bei dem die Löcher noch nicht vorhanden sind.

    Blick in die Zukunft

    CAD und CAM gehören zusammen

    Gewähren Sie uns einen Blick in die Zukunft?

    Wir haben noch viel vor. Neben funktionalen Optimierungen wie Abfasen oder Verrundung von Solidkanten ist unser wichtigstes Ziel, CAD und CAM näher zusammenzubringen. Dafür müssen wir auch unsere Parametrik besser an externe Stücklisten mit Normteilen aus Katalogen anbinden. Oder sehen Sie mein Beispiel von eben mit den unterschiedlichen Fertigungszuständen: Das funktioniert nur, wenn das CAD-Modell auch in Tebis konstruiert wurde. Wir wollen unsere Templates weiter ausbauen, so dass man auch komplexe Konstruktionen einfacher parametrisch erzeugen kann. Außerdem sollen sich Elemente zukünftig so konstruieren lassen, dass sie die Fertigungsinformation von Anfang an in sich tragen – noch bevor das eigentliche CAM-Programm erzeugt wird.

    Das bedeutet?

    Klassische Regelgeometrien zum Beispiel sind Bohrungen, Taschen und Gewinde. In Tebis besteht die Möglichkeit, diese Regelgeometrien zu „verfeaturen“. Das heißt: Ihnen wird automatisch – auch wieder auf Basis standardisierter Schablonen – die Information zugewiesen, „wie“ sie gefertigt werden. Die Intelligenz parametrischer CAD-Objekte und digitalisiertes Fertigungs-Know-How fließen zusammen.

    Diesen Objekten müssen also nachträglich keine Features mehr zugewiesen werden, damit sie die relevanten Fertigungsinformationen bekommen?

    Wenn sie in Tebis konstruiert wurden, nein. Wenn sie Dateien aus Fremdsystemen importieren, können Sie den automatischen Featurescanner natürlich nach wie vor nutzen.